WEBVTT 00:00:16.600 --> 00:00:19.840 Es ist ein riesen und zentrales Ressort, was Herr Müller gehabt hat. 00:00:19.840 --> 00:00:22.840 Parlamentsrecht, Wahlrecht das sind große Themen, 00:00:22.840 --> 00:00:28.680 die permanent brennen, zu vielen Entscheidungen geführt haben, aber eben auch das Parteienrecht 00:00:28.760 --> 00:00:34.560 als zentrale Materie war natürlich in den zwölf Jahren immer wieder auf dem Trapez, wie man so schön sagt. 00:00:34.560 --> 00:00:42.520 Wir hatten das Parteiverbotsverfahren NPD zwei mal, was dann eben auch schiefgegangen ist für die Antragsteller. 00:00:42.520 --> 00:00:46.440 Ich sage es mal vorsichtig, aber mit entsprechenden Hinweisen. 00:00:46.440 --> 00:00:54.360 Nämlich die klare Ansage seinerzeit des Zweiten Senats: verbieten ist schwierig, aber zahlen müsst ihr nicht unbedingt. 00:00:54.360 --> 00:00:56.960 Das hat man ein bisschen verklausuliert ausgedrückt. 00:00:56.960 --> 00:01:00.440 Und dann hat man eben den Weg auch genommen, 00:01:00.440 --> 00:01:05.440 durch Änderung des Artikel 21, Parteien, die verfassungswidrig sind, 00:01:05.520 --> 00:01:09.560 dann auch entsprechend die Parteienfinanzierung zu entziehen. 00:01:09.560 --> 00:01:12.000 Da hatten wir eine gewisse Schnittmenge, Herr Müller. 00:01:12.000 --> 00:01:16.920 Ich bin damals von Uwe Schünemann gebeten worden, das Ganze mal durch zu exerzieren, 00:01:16.920 --> 00:01:20.240 Rechtsgutachten zu machen, was dann im Prinzip dann 00:01:20.240 --> 00:01:24.720 eins zu eins, dann eben in Artikel 21, Absatz drei dann seinen Niederschlag gefunden hat. 00:01:24.720 --> 00:01:29.720 Sie haben natürlich darüber hinaus auch andere wegweisende Entscheidungen mit begleitet. 00:01:29.720 --> 00:01:31.640 Mitwirkungsrechte der Abgeordnete. 00:01:31.640 --> 00:01:37.360 Das war zwar nicht die Wüppesahl Entscheidung, aber viele Dinge anders, die von großer Bedeutung waren, 00:01:37.440 --> 00:01:39.720 aber vor allen Dingen auch die 00:01:39.720 --> 00:01:45.040 Entscheidungen zu den Äußerungsrechten von Regierungsmitgliedern und des Bundespräsidenten. 00:01:45.120 --> 00:01:51.000 Das war nicht einfach, wenn man die Entscheidung liest, so einem Bundespräsidenten zu sagen, das geht nicht, ist schwierig. 00:01:51.000 --> 00:01:57.480 Aber ich glaube, sie haben eine ganz vertretbare Lösung gefunden, wo jeder Jurist weiß, wo die Fußangeln sind. 00:01:57.480 --> 00:02:01.760 Und natürlich zum Schluss die schiefgegangen Wahl in Berlin. 00:02:01.760 --> 00:02:09.440 Da war Herr Müller auch beteiligt, wo eben dann noch mal eine Nachwahl angeordnet wurde vom Bundesverfassungsgericht. 00:02:09.440 --> 00:02:17.160 Sie sehen also, ein Verfassungsrichter, der wirklich im Verfassungsleben gestanden hat 00:02:17.160 --> 00:02:19.480 und wegweisende Entscheidungen mitgeprägt hat. 00:02:19.480 --> 00:02:27.560 Und ich glaube, das ist wunderbar für unser Thema “Freiheit - 75 Jahre Grundgesetz, 35 Jahre friedliche Revolution”. 00:02:27.560 --> 00:02:32.640 Denn was wäre Forschung ohne Freiheit? Wenn wir uns schon mal hier in der Universität befinden. 00:02:32.640 --> 00:02:36.080 Auch die Lehre ohne Freiheit - nicht vorstellbar. 00:02:36.080 --> 00:02:40.160 Und wenn man sich dann den Erdglobus anschaut, dann muss man sagen: Wir haben einen Sechser im Lotto gezogen, 00:02:40.160 --> 00:02:46.360 wir leben in einem Staat, in dem eine funktionierende Demokratie ist. 00:02:46.360 --> 00:02:48.080 Was wäre Freiheit ohne Verantwortung? 00:02:48.080 --> 00:02:50.800 Was wären wir also ohne Freiheit? 00:02:50.800 --> 00:02:55.040 Und was ganz wichtig ist: Was brauchen wir, um diese Freiheit zu erhalten? 00:02:55.040 --> 00:02:59.640 Von daher: der heutige Abend steht unter dem Titel 00:02:59.640 --> 00:03:04.360 “75 Jahre Grundgesetz - Wie schützen wir unsere freiheitlich demokratische Grundordnung?” 00:03:04.360 --> 00:03:11.080 Ein großes Thema. Herr Müller hat gerade gesagt natürlich die Frage der verfassungsrechtlichen Absicherung 00:03:11.080 --> 00:03:15.200 des Bundesverfassungsgerichts wird natürlich ein Thema auch sein. 00:03:15.200 --> 00:03:23.040 Und von daher müssen wir uns natürlich heute immer die Frage stellen: sind wir wirklich gewappnet? 00:03:23.040 --> 00:03:25.520 Ist unsere Verfassung so fest? 00:03:25.520 --> 00:03:29.400 Unsere Verfassungsväter und -mütter haben aus Weimar gelernt, 00:03:29.400 --> 00:03:30.960 insofern, als sie uns eine wehrhafte Verfassung an die Hand gegeben hat. 00:03:30.960 --> 00:03:34.160 insofern, als sie uns eine wehrhafte Verfassung an die Hand gegeben hat. 00:03:34.160 --> 00:03:38.000 Die Instrumente müssen natürlich auf der einen Seite genutzt werden, 00:03:38.000 --> 00:03:40.760 aber das ist nicht ausreichend. 00:03:40.760 --> 00:03:45.320 Wir hatten vorher im Vorgespräch, hatte ich noch mal darauf hingewiesen, wir sind da einer Meinung: 00:03:45.320 --> 00:03:49.840 die Weimarer Verfassung war eine super moderne Verfassung. 00:03:49.840 --> 00:03:53.960 Die Weimarer Republik ist nicht an der Verfassung kaputt gegangen, 00:03:53.960 --> 00:03:57.280 sondern an den fehlenden Demokraten, die für den Staat eingestanden sind. 00:03:57.280 --> 00:04:00.840 Und ich glaube, daran müssen wir uns immer wieder erinnern 00:04:00.920 --> 00:04:04.520 und auch im Kleinen wie im Großen dann für die Demokratie einstehen. 00:04:04.520 --> 00:04:07.840 Also von daher stellt sich aber gleichwohl die Frage, 00:04:07.840 --> 00:04:09.920 wie beständig und belastbar ist unser Grundgesetz? 00:04:09.920 --> 00:04:15.960 Deswegen freue ich mich, dass wir mit Herrn Müller da einen wunderbaren Referenten gefunden haben. 00:04:15.960 --> 00:04:20.120 Und ich denke, er hat auch eine steile These 00:04:20.120 --> 00:04:25.840 im Saarländischen Rundfunk gegeben: Deutschland habe eine gute Verfassung, 00:04:25.840 --> 00:04:28.200 ist sie aber in guter Verfassung? 00:04:28.200 --> 00:04:32.560 Das ist eine Frage, die er sicherlich gleich behandeln wird. 00:04:32.560 --> 00:04:36.920 Und ich freue mich, lieber Herr Müller, dass Sie jetzt hier uns bereichern werden 00:04:36.920 --> 00:04:43.280 mit vielen Aussagen, die auch nicht mehr durch Ämterzwänge eingefangen werden können. 00:04:43.360 --> 00:04:49.560 Also von daher haben Sie freie Rede in einer Universität, wo man auch unbequeme Wahrheiten aushalten muss. 00:04:49.600 --> 00:04:54.680 Ganz herzlichen Dank für Ihr Kommen und ich wünsche uns eine wunderbare Veranstaltung. Danke schön! 00:04:54.680 --> 00:05:03.960 [Applaus] 00:05:03.960 --> 00:05:06.200 Ja, sehr, sehr geehrter Herr Präsident! 00:05:06.200 --> 00:05:07.600 Meine sehr verehrten Damen und Herren! 00:05:07.600 --> 00:05:13.120 Ich freue mich sehr, am heutigen Abend hier bei Ihnen sein zu können und mit Ihnen 00:05:13.200 --> 00:05:18.480 ein paar Gedanken zu einem Jubiläum austauschen zu können, 00:05:18.560 --> 00:05:25.000 das, wenn es nach dem Willen des Jubilars gegangen wäre, gar nicht hätte stattfinden dürfen. 00:05:25.080 --> 00:05:32.760 Denn tatsächlich ist es ja so, dass die Ministerpräsidenten der Länder der westlichen Besatzungszonen 00:05:32.840 --> 00:05:40.120 1948 alles andere als begeistert waren, als sie von den Militärgouverneuren 00:05:40.200 --> 00:05:47.400 in den Frankfurter Dokumenten den Auftrag erhielten, einen Verfassungsentwurf vorzulegen. 00:05:47.480 --> 00:05:52.720 Man befürchtete, dass mit einer Verfassung für die westlichen Besatzungszonen 00:05:52.800 --> 00:06:00.000 die Teilung Deutschlands perpetuiert wird, ein Teil Deutschlands dauerhaft ausgegliedert würde. 00:06:00.080 --> 00:06:05.720 Aber man konnte sich dem Begehren der Besatzungsmächte natürlich nicht entziehen. 00:06:05.720 --> 00:06:11.360 Man hat dann vorbereitend im Herrenchiemsee Konvent und anschließend im parlamentarische Rat 00:06:11.360 --> 00:06:14.840 diesen Verfassungsentwurf erarbeitet. 00:06:14.840 --> 00:06:17.760 Der Parlamentarische Rat hat am 00:06:17.760 --> 00:06:22.600 8. Mai 1949, der Tag war ganz bewusst gewählt, 00:06:22.600 --> 00:06:28.400 der Tag der Kapitulation, vier Jahre später, kurz vor Mitternacht, 00:06:28.400 --> 00:06:34.320 mit 53 zu 12 Stimmen den Verfassungsentwurf beschlossen. 00:06:34.400 --> 00:06:42.560 Und er hat ihn bewusst nicht mit “Verfassung” überschrieben, sondern mit “Grundgesetz”, 00:06:42.640 --> 00:06:47.880 um deutlich zu machen, dass da eigentlich nur ein Provisorium 00:06:47.960 --> 00:06:53.520 beschlossen werden sollte oder wie Carlo Schmid es genannt hat, ein Transitorium. 00:06:53.600 --> 00:07:01.440 Eine Übergangsregelung, die nur gelten sollte, bis das ganze deutsche Volk 00:07:01.520 --> 00:07:06.360 sich in freier Selbstbestimmung eine neue Verfassung gibt, 00:07:06.360 --> 00:07:13.000 so der Artikel 146 in seiner ursprünglichen Verfassung. 00:07:13.080 --> 00:07:15.280 Nun ist das mit Provisorien so eine Sache. 00:07:15.280 --> 00:07:20.040 Die sind manchmal sehr langlebig. Nehmen Sie die Sektsteuer. 00:07:20.040 --> 00:07:25.640 Die wurde im Jahr 1902 eingeführt, um die Kaiserliche Reichsmarine zu finanzieren. 00:07:25.720 --> 00:07:30.120 Der Kaiser ist tot, die Reichsmarine untergegangen. Die Sektsteuer haben wir immer noch. 00:07:30.120 --> 00:07:33.200 Also Provisorien können sehr, sehr langlebig sein. 00:07:33.200 --> 00:07:36.760 Das gilt auch für das Grundgesetz. 00:07:36.760 --> 00:07:39.920 Das Grundgesetz hat aber 00:07:39.920 --> 00:07:44.040 in dieser langen Zeit seine Tauglichkeit bewiesen. 00:07:44.040 --> 00:07:51.320 Es hat bewiesen, dass es eine gute Grundlage für das Zusammenleben in unserer staatlichen Ordnung ist. 00:07:51.320 --> 00:07:59.600 Und wenn man dieser Frage nachspürt, warum das so ist, dann, glaube ich, gibt es dafür zwei Ursachen. 00:07:59.600 --> 00:08:02.000 Die eine Ursache ist 00:08:02.000 --> 00:08:07.000 der provisorische Charakter, die Bescheidenheit des Reglungsanspruches, 00:08:07.080 --> 00:08:14.160 die vielen Väter (61) und die wenigen Mütter (4) des Grundgesetzes, 00:08:14.240 --> 00:08:18.920 also eine Zusammensetzung des Parlamentarischen Rates, die unter Gender Gesichtspunkten heute 00:08:18.920 --> 00:08:21.320 völlig unvorstellbar wäre. 00:08:21.320 --> 00:08:24.800 Damals hat das keine größeren Debatten ausgelöst. 00:08:24.800 --> 00:08:33.000 Die wollten keine ideale Verfassung schreiben, sondern sie wollten das Notwendige regeln, mehr nicht. 00:08:33.000 --> 00:08:38.560 Und deshalb ist der ursprüngliche Text der Verfassung ein sehr nüchterner Text. 00:08:38.600 --> 00:08:45.600 Man hat auf wolkige Formulierungen verzichtet, man hat auf Staatsziel Formulierungen verzichtet. 00:08:45.680 --> 00:08:52.560 Ein Recht auf Glück wie in der amerikanischen Verfassung hat im Grundgesetz keinen Raum gefunden. 00:08:52.640 --> 00:08:57.880 Und das war sicherlich eine der Stärken, ist sicherlich eine der Stärken dieser Verfassung. 00:08:57.920 --> 00:09:05.920 Das zweite ist die Tatsache, dass es ein klares Leitbild gab, an dem man sich orientiert hat. 00:09:05.920 --> 00:09:09.200 Und das haben Sie, Herr Präsident, eben angesprochen. 00:09:09.200 --> 00:09:13.680 Die Mütter und Väter des Grundgesetzes wollten aus der Geschichte lernen, 00:09:13.680 --> 00:09:18.440 und sie wollten bereits auf der Ebene der Verfassung eine Ordnung schaffen, 00:09:18.440 --> 00:09:23.400 die ein Bollwerk darstellt gegen jede Form von Totalitarismus, 00:09:23.400 --> 00:09:26.840 die ein Bollwerk darstellt, damit sich die 00:09:26.840 --> 00:09:32.720 schrecklichen zwölf Jahre des 1000-jährigen Reiches, länger als zwölf Jahre hat es ja Gott sei Dank nicht gedauert, 00:09:32.800 --> 00:09:36.560 damit diese Jahre sich in Deutschland nicht wiederholen können. 00:09:36.560 --> 00:09:42.080 Der Nationalsozialismus hat eine gegenbildlich, identitätsstiftende 00:09:42.080 --> 00:09:47.440 Bedeutung für das Grundgesetz, und das macht sich an vielen Punkten fest. 00:09:47.520 --> 00:09:51.560 Das macht sich an staatsorganisatorischen Bestimmungen fest, 00:09:51.560 --> 00:09:57.160 die Rolle des Reichspräsidenten war eine andere wie diejenige des Bundespräsidenten. 00:09:57.240 --> 00:10:03.400 Man hat das konstruktive Misstrauensvotum eingeführt, damit nicht Negativkoalitionen 00:10:03.480 --> 00:10:08.640 eine Regierung abwählen können, sondern gleich immer ein neuer Kanzler gewählt werden muss. 00:10:08.720 --> 00:10:14.520 Es war vor allen Dingen aber die Entscheidung für eine bestimmte Wertordnung, 00:10:14.600 --> 00:10:21.080 für eine freiheitliche, für eine demokratische Ordnung mit ganz zentralen Prinzipien. 00:10:21.160 --> 00:10:27.000 Und ganz bewusst haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes anders als in der Weimarer 00:10:27.000 --> 00:10:35.760 Reichsverfassung an den Anfang des Textes das Bekenntnis zur Menschenwürde und die Grundrechte gestellt. 00:10:35.840 --> 00:10:38.240 Die Würde des Menschen ist unantastbar. 00:10:38.240 --> 00:10:42.320 Sie zu achten und zu schützen ist Aufgabe aller staatlichen Gewalt. 00:10:42.320 --> 00:10:44.880 Artikel 1 des Grundgesetzes. 00:10:44.880 --> 00:10:50.360 Eine bewusste Setzung, um deutlich zu machen, dass im Mittelpunkt 00:10:50.360 --> 00:10:56.760 des Grundgesetzes der einzelne Mensch und nicht irgendein Kollektiv steht. 00:10:56.840 --> 00:11:04.320 Der einzelne Mensch mit seiner unantastbaren Würde, das ist der höchste Wert dieses Grundgesetzes. 00:11:04.320 --> 00:11:07.640 Dieser Wert geht allen anderen Werten vor. 00:11:07.640 --> 00:11:11.880 Er kann nicht gegen andere Werte abgewogen werden. 00:11:11.880 --> 00:11:19.320 Und deshalb kann kein wie auch immer geartetes Kollektiv, keine wie auch immer geartete Gemeinschaft 00:11:19.400 --> 00:11:24.880 für sich in Anspruch nehmen, dem Einzelnen und seiner Würde vorzugeben. 00:11:24.960 --> 00:11:30.680 Das war genau das Gegenbild zum Nationalsozialismus, wo ja die Volksgemeinschaft 00:11:30.680 --> 00:11:35.880 einen höheren Wert hatte als das Individuum, als der Einzelne. 00:11:35.960 --> 00:11:41.760 Und wegen dieser Orientierung an der Würde des einzelnen Menschen 00:11:41.840 --> 00:11:47.520 lässt die Verfassung keinen Raum für willkürliche Diskriminierung, 00:11:47.600 --> 00:11:52.520 für willkürliche Abwertung und Ungleichbehandlungen von Menschen. 00:11:52.520 --> 00:11:55.800 Und das ist mehr als abstrakt. 00:11:55.880 --> 00:12:00.880 Und das wird auch im Moment in aktuellen Debatten zu reflektieren sein. 00:12:01.040 --> 00:12:05.840 Die Vorstellung, dass es unterschiedliche Formen von Staatsbürgern gibt, 00:12:05.840 --> 00:12:12.920 das ist die einen gibt, die die besseren sind, weil sie zur Volksgemeinschaft gehören 00:12:13.000 --> 00:12:20.120 qua Abstammung, und dass es die anderen gibt, die einen minderwertigen Status haben, 00:12:20.200 --> 00:12:28.240 weil sie die Zugehörigkeit im Wege der Verleihung der Staatsbürgerschaft, im Wege der Einbürgerung gewonnen haben. 00:12:28.320 --> 00:12:33.720 Und das ist deshalb gerechtfertigt, dass die einen besser und die anderen schlechter zu behandeln. 00:12:33.800 --> 00:12:40.840 Die Unterscheidung zwischen den Biodeutschen auf der einen Seite und den Passdeutschen auf der anderen Seite 00:12:40.920 --> 00:12:45.360 und die Vorstellung, dass die Passdeutschen nicht so richtig dazugehören 00:12:45.360 --> 00:12:50.680 und dass man deshalb dafür sorgen muss, dass die nicht so gut behandelt werden wie die Biodeutschen, 00:12:50.760 --> 00:12:54.880 dass man eigentlich dafür sorgen muss, dass sie die Volksgemeinschaft wieder verlassen, 00:12:54.880 --> 00:13:00.680 ja dass man notfalls sogar bereit sein muss, sie aus der Volksgemeinschaft zu entfernen. 00:13:00.760 --> 00:13:02.880 Remigration. 00:13:02.880 --> 00:13:06.320 Das sind Gedanken, die ja mittlerweile wieder ausgetauscht werden 00:13:06.320 --> 00:13:07.520 in unserem Land. 00:13:07.520 --> 00:13:10.160 Die ausgetauscht worden sind in Potsdam. 00:13:10.160 --> 00:13:13.440 Die in Teilen der AfD vertreten werden. 00:13:13.440 --> 00:13:18.800 Diese Gedanken verstoßen bereits gegen den Artikel 1 des Grundgesetzes. 00:13:18.880 --> 00:13:24.000 Wer diese Gedanken vertritt, verlässt die freiheitlich demokratische Grundordnung, 00:13:24.200 --> 00:13:27.600 die für unser Gemeinwesen konstitutiv ist. 00:13:27.680 --> 00:13:31.400 Der zweite, wesentliche Aspekt, 00:13:31.400 --> 00:13:38.960 der die Mütter und Väter des Grundgesetzes geleitet hat, ist das Bekenntnis zur Demokratie. 00:13:39.040 --> 00:13:49.240 Demokratie als die Herrschaft der Freien und der Gleichen. Demokratie, die heißt, dass jede Ausübung staatlicher Gewalt 00:13:49.320 --> 00:13:57.880 zurückgeführt werden muss, zurückgeführt werden kann auf einen Legitimationsakt durch den Souverän. 00:13:57.960 --> 00:14:02.120 Und der Souverän ist das Volk, und niemand sonst. 00:14:02.120 --> 00:14:05.040 Nichts steht darüber. 00:14:05.040 --> 00:14:10.960 Auch keine religiösen Gebote, auch keine Scharia. 00:14:11.040 --> 00:14:17.880 Die Vorstellung des Kalifat Staates ist mit der Idee der repräsentativen Demokratie des Grundgesetzes 00:14:17.960 --> 00:14:19.680 nicht vereinbar. 00:14:19.680 --> 00:14:24.080 Souverän ist das Volk, dem geht nichts vor. 00:14:24.080 --> 00:14:29.000 Und dieser Souverän legitimiert zur Ausübung staatlicher Gewalt. 00:14:29.000 --> 00:14:36.160 Dabei sieht das Grundgesetz zwei Wege vor: die Abstimmung und die Wahl. 00:14:36.240 --> 00:14:40.880 Nun ist das Thema Abstimmung im Grundgesetz etwas unterentwickelt. 00:14:40.880 --> 00:14:43.560 Wir haben eigentlich nur zwei Fälle. 00:14:43.560 --> 00:14:45.240 Im Wege der Volksabstimmung 00:14:45.240 --> 00:14:50.080 kann eine neue Verfassung beschlossen werden, diese Verfassung durch eine andere ersetzt werden. 00:14:50.160 --> 00:14:53.200 Und der zweite Fall ist die Länder Neugliederung. 00:14:53.200 --> 00:14:57.680 Das hat bisher in der Verfassungswirklichkeit keine Rolle gespielt. 00:14:57.680 --> 00:15:03.800 Und als bekennender Saarländer kann ich Ihnen sagen: die Wahrscheinlichkeit, dass sich das in der Zukunft ändert, 00:15:03.880 --> 00:15:06.160 ist eher überschaubar. 00:15:06.160 --> 00:15:11.280 Also die Wahrscheinlichkeit, dass die Saarländer und Saarländer bei einer Volksabstimmung mehrheitlich 00:15:11.280 --> 00:15:19.600 entscheiden, künftig Pfälzerinnen und Pfälzer zu sein, ist eher abstrakt. 00:15:19.680 --> 00:15:21.080 Die Mütter und Väter des 00:15:21.080 --> 00:15:26.280 Grundgesetzes waren skeptisch gegenüber plebiszitären Elementen. 00:15:26.360 --> 00:15:31.880 Carlo Schmid hat davon gesprochen, dass das die Prämie für die Demagogen sei. 00:15:31.960 --> 00:15:38.160 Ob man das noch einmal neu reflektieren kann und neu reflektieren muss, ist eine Frage, 00:15:38.240 --> 00:15:42.360 über die man sicherlich streiten kann. 00:15:42.360 --> 00:15:47.560 Da ich aus meinem Herzen keine Mördergrube mehr machen muss, sage ich Ihnen ganz offen: 00:15:47.640 --> 00:15:52.120 Wir machen eigentlich mit plebiszitären Elementen gute Erfahrungen auf 00:15:52.120 --> 00:15:57.720 kommunaler Ebene, auf Ebene der Bundesländer, in anderen europäischen Staaten. 00:15:57.720 --> 00:16:01.400 Es gibt natürlich auch Beispiele, die in die Hose gegangen sind. 00:16:01.400 --> 00:16:03.320 Denken Sie an den Brexit. 00:16:03.320 --> 00:16:07.440 Doch alles in allem hat ein Plebiszit natürlich einen Vorteil. 00:16:07.440 --> 00:16:12.320 Plebiszite zwingen Politiker dazu, ihre Politik so gut zu erklären, 00:16:12.320 --> 00:16:16.040 dass erst gar kein Volksbegehren, dass erst gar kein Volksentscheid entsteht. 00:16:16.040 --> 00:16:21.720 Und deshalb hätte ich eine gewisse Sympathie, das Grundgesetz in diesem Bereich etwas zu öffnen. 00:16:21.800 --> 00:16:27.400 Daneben die Wahl als entscheidendes Legitimationsinstrument 00:16:27.480 --> 00:16:32.000 des Souveräns, des Bürgers, der Bürgerinnen und Bürger. 00:16:32.000 --> 00:16:37.240 Die Wahl, bei der die Repräsentanten bestimmt werden, die dann auf Zeit 00:16:37.320 --> 00:16:41.800 in der Lage sind, staatliche Gewalt auszuüben. 00:16:41.800 --> 00:16:48.480 Die Väter und Mütter des Grundgesetzes konnten sich nicht auf ein bestimmtes Wahlsystem verständigen. 00:16:48.560 --> 00:16:51.080 Da gab es unterschiedliche Interessen. 00:16:51.080 --> 00:16:56.080 Die Ausgestaltung des Wahlsystems ist immer auch eine Machtfrage, 00:16:56.120 --> 00:17:01.120 und deshalb hat man sich auf ein paar Grundsätze verständigt. 00:17:01.280 --> 00:17:06.720 Die steht im Artikel 38 die allgemeine, freie, gleiche, geheime und unmittelbar der Wahl. 00:17:06.800 --> 00:17:10.920 Das Bundesverfassungsgericht hat den Grundsatz der Öffentlichkeit hinzugefügt, 00:17:10.920 --> 00:17:15.800 und außerdem verweist es immer wieder auf die Integrationsfunktion der Wahl, 00:17:15.800 --> 00:17:20.800 das heißt darauf, dass die Wahl dazu dient, die politischen Strömungen, 00:17:20.920 --> 00:17:26.400 die im Volk vorhanden sind, sich auch im Parlament abbilden zu lassen. 00:17:26.480 --> 00:17:30.800 Und auf dieser Grundlage sind dann die Wahlgesetze beschlossen worden. 00:17:30.800 --> 00:17:36.120 Es war eine gute Tradition in Deutschland, in der Vergangenheit, 00:17:36.200 --> 00:17:42.800 dass das Wahlrecht im parteiübergreifenden Konsens beschlossen worden ist. 00:17:42.880 --> 00:17:48.960 Erst die beiden letzten Änderungen des Bundeswahlgesetzes wurden von der jeweiligen Mehrheit 00:17:49.040 --> 00:17:52.320 gegen die jeweilige Opposition durchgesetzt. 00:17:52.320 --> 00:17:58.240 Prompt sind diese Wahlgesetze dann auch zum Gegenstand verfassungsgerichtlicher 00:17:58.320 --> 00:18:00.880 Überprüfung gemacht worden. 00:18:00.880 --> 00:18:07.800 Was den vorletzten Fall anbetrifft, hat das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung durchgewunken. 00:18:07.880 --> 00:18:12.160 Ich persönlich halte diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes für falsch. 00:18:12.160 --> 00:18:14.640 Das habe ich auch in einem Sondervotum dokumentiert. 00:18:14.640 --> 00:18:19.160 Am Ende ging es da um die Frage: wer muss das Wahlrecht verstehen? 00:18:19.160 --> 00:18:22.320 Die Wählerinnen und Wähler? 00:18:22.320 --> 00:18:24.560 Oder der Bundeswahlleiter? 00:18:24.560 --> 00:18:27.240 Und die Mehrheit des Senats war der Meinung 00:18:27.240 --> 00:18:30.400 Na ja, wenn der Bundeswahlleiter das versteht, dann wird das schon richtig laufen. 00:18:30.400 --> 00:18:34.200 Die Wählerinnen und Wähler geben die Stimme ab, dann ist er halt weg. 00:18:34.200 --> 00:18:39.840 Das halte ich persönlich für falsch und habe das auch entsprechend dargelegt. 00:18:40.080 --> 00:18:45.240 Aber die Mehrheit des Senats hat das mit guten Gründen anders gesehen. 00:18:45.320 --> 00:18:50.520 Jetzt wird der Senat über die Frage zu entscheiden haben, ist es eigentlich richtig, 00:18:50.600 --> 00:18:55.520 wenn wir ein Wahlsystem haben, das dazu führen kann, 00:18:55.520 --> 00:19:04.280 dass in einem Bundesland auch in einem großen Bundesland eine Partei alle direkten Wahlkreise gewinnt? 00:19:04.360 --> 00:19:05.720 Und trotzdem im Bundestag 00:19:05.720 --> 00:19:10.880 möglicherweise nicht vertreten ist, weil man die 5%-Hürde nicht überspringt? 00:19:11.120 --> 00:19:14.600 Passt das zusammen oder ist da Nachbesserung geboten? 00:19:14.600 --> 00:19:16.520 Wie auch immer das entschieden wird. 00:19:16.520 --> 00:19:20.880 Ich will von dieser Stelle aus nur sagen: ich glaube, es wäre gut 00:19:20.880 --> 00:19:25.440 für die politische Kultur in unserem Land, wenn man zu der Tradition, 00:19:25.440 --> 00:19:29.320 dass das Wahlrecht im parteiübergreifenden Konsens 00:19:29.320 --> 00:19:34.320 der Parteien der politischen Mitte beschlossen wird, zurückkehren würde. 00:19:34.480 --> 00:19:36.720 Das wäre sicherlich ein Beitrag, 00:19:36.720 --> 00:19:43.560 die politische Kultur in diesem Lande wieder etwas stärker erfahrbar und etwas stärker bewusst zu machen. 00:19:43.560 --> 00:19:49.360 Das ist also das zweite große Prinzip, das Demokratieprinzip und das dritte Prinzip: der Rechtsstaat. 00:19:49.440 --> 00:19:54.640 Der Rechtsstaat, der heißt alle staatliche Gewalt ist an Recht und Gesetz gebunden, 00:19:54.720 --> 00:20:01.440 und selbst der Gesetzgeber, der die Gesetze macht, ist gebunden, nämlich an die Verfassung. 00:20:01.840 --> 00:20:05.080 Selbst der Gesetzgeber kann nicht tun und lassen, was er will. 00:20:05.080 --> 00:20:07.840 Er muss die Verfassung beachten 00:20:07.840 --> 00:20:16.480 und diese Bindung aller staatlichen Gewalt an Recht und Gesetz, die Bindung aller an die rechtlichen Vorgaben, 00:20:16.480 --> 00:20:22.200 ist die einzige mögliche Begründung für das Gewaltmonopol des Staates. 00:20:22.280 --> 00:20:29.720 Der Staat kann den Bürgerinnen und Bürgern nur abverlangen, dass sie darauf verzichten, ihr Recht selbst durchzusetzen, 00:20:29.800 --> 00:20:35.840 wenn diese sich darauf verlassen können, dass er die rechtlichen Regelungen gegenüber 00:20:35.840 --> 00:20:43.200 jedermann in gleicher Weise durchsetzt und dass er selbst sich an diese Bindungen hält. 00:20:43.280 --> 00:20:52.560 Da ist kein Raum für rechtsfreie Räume, da ist kein Raum für die These “Not kennt kein Gebot”, 00:20:52.640 --> 00:20:58.840 da ist kein Raum für den Grundsatz “Der Zweck heiligt die Mittel”. 00:20:58.840 --> 00:21:01.800 Egal wie heilig: der Zweck ist das Mittel. 00:21:01.800 --> 00:21:07.840 Deswegen die Gesetze zu übertreten, ist in einem Rechtsstaat nicht vorgesehen, 00:21:07.920 --> 00:21:12.800 widerspricht der rechtsstaatlichen Konzeption des Grundgesetzes. 00:21:12.800 --> 00:21:18.480 Und diese Bindung gilt für Repräsentierte und Repräsentanten. 00:21:18.560 --> 00:21:19.440 Deshalb ist mit dem 00:21:19.440 --> 00:21:25.320 Rechtsstaatsprinzip auch rechtsvergessenheit der Regierenden nicht vereinbar. 00:21:25.400 --> 00:21:28.200 Und um es an einem nicht nationalen Beispiel 00:21:28.200 --> 00:21:33.480 deutlich zu machen, was ich meine das Rechtsstaatsprinzip gilt auch auf europäischer Ebene. 00:21:33.560 --> 00:21:36.320 Die jetzige Präsidentin der Europäischen Zentralbank 00:21:36.320 --> 00:21:41.920 hat damals noch im Amt der französischen Finanzministerin einmal formuliert: 00:21:42.000 --> 00:21:48.640 Wir haben alle Regeln, die wir uns selbst gesetzt haben, gebrochen, um den Euro zu retten. 00:21:48.720 --> 00:21:52.800 Das ist ein im Rechtsstaat nicht akzeptables Verfahren. 00:21:52.800 --> 00:21:55.760 Es kann sein, dass Regeln falsch sind. 00:21:55.760 --> 00:21:59.560 Wenn die Wirklichkeit sich ändern, müssen sich vielleicht auch Regeln ändern. 00:21:59.560 --> 00:22:02.720 Aber doch bitte im dafür vorgesehenen Verfahren, 00:22:02.720 --> 00:22:08.080 im dafür vorgesehenen Gesetzgebungsverfahren, auf nationaler, auf europäischer Ebene 00:22:08.160 --> 00:22:13.400 und nicht dadurch, dass man rechtsvergessen sich an diese Regelungen nicht mehr hält. 00:22:13.400 --> 00:22:15.560 Das untergräbt den Rechtsstaat. 00:22:15.560 --> 00:22:21.000 Das sind also die zentralen Prinzipien der freiheitlich demokratischen Grundordnung. 00:22:21.240 --> 00:22:28.240 Menschenwürde, daraus abgeleitete Grundrechte, Demokratie, Rechtsstaat, an denen das Grundgesetz sich orientiert. 00:22:28.320 --> 00:22:34.360 Natürlich haben wir im Grundgesetz weitere zentrale wichtige Regelungen, 00:22:34.440 --> 00:22:41.920 die aber mit dem Begriff der freiheitlich demokratischen Grundordnung, jedenfalls im Sinne des Artikels 21 00:22:41.920 --> 00:22:48.040 nicht unmittelbar gemeint sind, die gleichwohl für die Verfassungswirklichkeit von zentraler Bedeutung sind. 00:22:48.120 --> 00:22:55.920 Der Föderalismus als eine Form der vertikalen Gewaltenteilung zur Sicherung der Freiheit der Bürger, 00:22:55.920 --> 00:23:02.480 die Verteilung der Macht zwischen Bund und Ländern, um dadurch Freiheitsräume und dadurch Vielfalt zu sichern. 00:23:02.560 --> 00:23:07.960 Die Entscheidung für das Sozialstaatsprinzip als Garantie eines menschenwürdigen Existenzminimums, 00:23:08.040 --> 00:23:11.680 als Garantie bestimmter Teilhaberechte in unserer Gesellschaft 00:23:11.680 --> 00:23:17.520 und sicherlich ganz, ganz zentral und wichtig die Entscheidung für die offene Staatlichkeit, 00:23:17.600 --> 00:23:22.440 Die Entscheidung dafür, dass die Bundesrepublik Deutschland sich einbringt 00:23:22.440 --> 00:23:28.680 in Systeme kollektiver Sicherheit, sich einbringt in den Prozess der europäischen Einigung. 00:23:28.760 --> 00:23:34.560 Das Grundgesetz ist Europa freundlich, es will die europäische Integration, 00:23:34.640 --> 00:23:38.360 und letztlich ist unsere Zukunft davon abhängig. 00:23:38.360 --> 00:23:46.560 80 Millionen Menschen in Deutschland, in einer Welt mit mehr als 8 Milliarden Einwohnern können sie vergessen. 00:23:46.560 --> 00:23:48.960 Das ist eine “Quantité Negliable” 00:23:49.040 --> 00:23:50.320 Und deshalb ist unsere 00:23:50.320 --> 00:23:56.000 Zukunft abhängig auch vom Gelingen des europäischen Einigungswerk ist. 00:23:56.080 --> 00:24:00.680 Das Grundgesetz will allerdings keine europäische Einigung um jeden Preis. 00:24:00.680 --> 00:24:07.880 Es konditioniert sie, es will eine Europäische Union, die demokratischen, die rechtsstaatlichen, 00:24:07.880 --> 00:24:14.440 die föderalen, die sozialstaatlichen Grundsätzen entspricht, die das Subsidiaritätsprinzip achtet 00:24:14.520 --> 00:24:19.520 und die einen Grundrechtskatalog hat, der demjenigen des Grundgesetzes vergleichbar ist. 00:24:19.720 --> 00:24:25.000 Nicht vorgesehen im Grundgesetz ist der Bundesstaat Europa. 00:24:25.080 --> 00:24:28.040 Den kann man aus politischen Gründen wollen. 00:24:28.040 --> 00:24:33.640 Da gibt es sicherlich gute politische Gründe, die für den europäischen Bundesstaat sprechen. 00:24:33.720 --> 00:24:37.760 Und es gibt möglicherweise auch gute Gründe, die dagegen sprechen. 00:24:37.760 --> 00:24:44.320 Die Entscheidung darüber ist im Rahmen dieses Grundgesetzes nicht zu treffen. 00:24:44.400 --> 00:24:48.680 Das heißt, diese Entscheidung, dass ein europäischer Bundesstaat 00:24:48.680 --> 00:24:53.240 künftig etabliert werden soll, kann nicht getroffen werden 00:24:53.240 --> 00:25:00.000 von dem Kanzler oder der Kanzlerin, vom Bundestag oder vom Bundesrat und auch nicht von allen zusammen, 00:25:00.080 --> 00:25:04.760 sondern kann nur getroffen werden vom Souverän, vom deutschen Volk, 00:25:04.760 --> 00:25:10.200 in dem er sich eine neue Verfassung gibt, in der der europäische Bundesstaat vorgesehen ist, 00:25:10.280 --> 00:25:16.120 also ein Konglomerat an Bestimmungen, die, wie ich finde, mit visionärer 00:25:16.120 --> 00:25:21.360 Kraft beschlossen worden sind als das Grundgesetz verabschiedet wurde. 00:25:21.440 --> 00:25:24.920 Das Grundgesetz hat Anpassungsfähigkeit bewiesen. 00:25:24.920 --> 00:25:30.040 Das Grundgesetz hat bewiesen, dass es sich auf veränderte Situationen einstellen kann. 00:25:30.040 --> 00:25:35.640 Es ist ergänzt worden. An einzelnen Punkten war das notwendig. 00:25:35.720 --> 00:25:40.720 Die Wehrverfassung, darüber hat 1949 noch niemand nachgedacht. 00:25:40.720 --> 00:25:46.400 Die Regelungen über den inneren Notstand vor dem Hintergrund heftiger Auseinandersetzungen, die geführt worden sind, 00:25:46.400 --> 00:25:53.280 die Anpassung an die Wiedervereinigung, die Änderungen des Grundgesetzes erforderlich gemacht hat. 00:25:53.360 --> 00:25:56.160 Für uns Saarländer war das ein befriedigender Prozess. 00:25:56.160 --> 00:26:00.760 Erst mit der großen Wiedervereinigung wurde das Saarland dann auch im Grundgesetz erwähnt. 00:26:00.760 --> 00:26:05.440 Wir waren lange namenlos in der Ordnung des Grundgesetzes. 00:26:05.440 --> 00:26:08.240 Das hat sich dann geändert. 00:26:08.240 --> 00:26:12.440 Eigentlich war ja der Tag der Wiedervereinigung der Tag, an dem 00:26:12.440 --> 00:26:18.880 der Verfassungsauftrag des Artikels 146 hätte eingelöst werden müssen. 00:26:18.960 --> 00:26:20.360 War eigentlich der Tag, an dem 00:26:20.360 --> 00:26:27.000 das deutsche Volk hätte aufgerufen sein müssen, in freier Selbstbestimmung sich eine neue Verfassung zu geben. 00:26:27.080 --> 00:26:29.520 Das hat nicht stattgefunden. 00:26:29.520 --> 00:26:34.640 Die Wiedervereinigung hat stattgefunden im Wege des Beitritts der neuen Länder 00:26:34.640 --> 00:26:37.880 zur Bundesrepublik Deutschland, zum Grundgesetz. 00:26:37.880 --> 00:26:42.760 Nach meiner Überzeugung war das historisch richtig, das so zu machen. 00:26:42.760 --> 00:26:47.520 Denn ein Verfassungsprozess, die Einberufung eines Verfassungskonvents, 00:26:47.520 --> 00:26:53.760 die Entscheidung über die Ergebnisse einer Volksabstimmung hätte sicher lange Zeit in Anspruch genommen. 00:26:53.840 --> 00:26:59.760 Und ob das historische Fenster der Wiedervereinigung sich in der Zwischenzeit nicht geschlossen hätte, 00:26:59.840 --> 00:27:03.800 kann heute niemand sagen. Deshalb war diese Entscheidung richtig. 00:27:03.800 --> 00:27:08.800 Ob allerdings nicht anschließend die Möglichkeit bestanden hätte, 00:27:09.040 --> 00:27:14.880 eine verfassungsgebende Versammlung ins Leben zu rufen und auf der Grundlage noch einmal 00:27:14.880 --> 00:27:21.840 eine Verfassung für die Bundesrepublik Deutschland vom Volk beschließen zu lassen, vom ganzen deutschen Volk. 00:27:21.920 --> 00:27:28.200 Ob damit nicht die Chance verbunden gewesen wäre, dass das Gefühl der Unterlegenheit, 00:27:28.280 --> 00:27:34.600 dass das Gefühl, einfach nur so angeschlossen worden zu sein, in den neuen Ländern dann vielleicht 00:27:34.600 --> 00:27:42.480 doch nicht so ausgeprägt gewesen wäre, wie es tatsächlich dann der Fall war, ist eine schwierige Frage. 00:27:42.560 --> 00:27:45.640 Ich traue mich nicht, die abschließend zu beurteilen. 00:27:45.640 --> 00:27:48.720 Möglicherweise wurde da eine Chance vertan. 00:27:48.720 --> 00:27:54.440 Wenn jetzt der Vorschlag gemacht wird, das jetzt nachzuholen, glaube ich, das macht keinen Sinn. 00:27:54.520 --> 00:27:58.840 Das ist vergossene Milch. Diese Chance ist nicht genutzt worden. 00:27:58.840 --> 00:28:04.840 Und das jetzt nach 35 Jahren nachzuholen, bringt uns wahrscheinlich gemeinsam nicht weiter. 00:28:04.920 --> 00:28:11.160 Und die Väter und Mütter des Grundgesetzes haben gesagt: Und wenn wir eine solche Verfassung etablieren, 00:28:11.240 --> 00:28:17.040 eine Verfassung der Freiheit, eine Verfassung der Menschenrechte, eine Verfassung der Demokratie 00:28:17.120 --> 00:28:24.160 und des Rechtsstaats, dann wollen wir die auch wehrhaft machen, dann soll die sich auch verteidigen können. 00:28:24.240 --> 00:28:33.000 Das ist die Debatte um die wehrhafte Demokratie, die gerade in der heutigen Zeit neue, zusätzliche Brisanz hat. 00:28:33.080 --> 00:28:37.400 Diese wehrhafte Demokratie besteht aus einer Reihe von Elementen. 00:28:37.400 --> 00:28:43.680 Dazu gehört die sogenannte Ewigkeitsklausel im Artikel 79, Absatz 3 des Grundgesetzes. 00:28:43.760 --> 00:28:51.120 Die zentralen Prinzipien, wie ich sie vorgetragen habe, die Prinzipien aus dem Artikel 21, die Menschenwürde, 00:28:51.200 --> 00:28:58.640 die sind in dieser Verfassung garantiert, und niemand kann sie ändern, auch nicht der verfassungsändernde Gesetzgeber. 00:28:58.720 --> 00:29:07.280 Zweites Instrument der wehrhaften Demokratie ist die Etablierung eines Organs, das Hüter der Verfassung ist 00:29:07.360 --> 00:29:14.280 und das die Einhaltung der Verfassung gegenüber anderen, allen anderen staatlichen Gewalten durchsetzen kann. 00:29:14.360 --> 00:29:17.000 Und das ist das Bundesverfassungsgericht. 00:29:17.000 --> 00:29:23.600 Das Bundesverfassungsgericht hat nicht nur die Möglichkeit, Entscheidungen der Exekutive zu überprüfen, Entscheidungen 00:29:23.600 --> 00:29:32.080 der Judikative zu überprüfen am Maßstab des Grundgesetzes, sondern auch Entscheidungen des Gesetzgebers, 00:29:32.160 --> 00:29:36.880 obwohl das Gericht ja nicht unmittelbar demokratisch legitimiert ist. 00:29:36.880 --> 00:29:41.880 Die Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts sind nicht vom Volk gewählt. 00:29:42.040 --> 00:29:47.520 Und trotzdem haben diese zweimal acht Richterinnen und Richter das Recht, 00:29:47.520 --> 00:29:52.360 mit dem Argument, hier wurden Vorgaben der Verfassung verletzt, 00:29:52.360 --> 00:30:00.960 auch dem demokratisch unmittelbar legitimierten, dem vom Volk gewählten Gesetzgeber in den Arm zu fallen. 00:30:01.040 --> 00:30:07.200 Das ist alles andere als selbstverständlich und es ist in der Verfassungsordnung der Bundesrepublik 00:30:07.200 --> 00:30:15.240 Deutschland in einem Maße möglich, wie in nach meiner Kenntnis keiner anderen Verfassung der Welt. 00:30:15.320 --> 00:30:22.440 Das Bundesverfassung Gericht dürfte von seinen Kompetenzen her das stärkste Verfassungsgericht auf dieser Welt sein. 00:30:22.520 --> 00:30:24.200 Warum ist das so? 00:30:24.200 --> 00:30:29.600 Das ist deshalb so, weil die Väter und Mütter des Grundgesetzes eben gesehen haben, 00:30:29.680 --> 00:30:34.920 dass auch in einem ordnungsgemäßen Verfahren beschlossene Gesetze, 00:30:35.000 --> 00:30:42.480 denken Sie an die Nürnberger Rassegesetze, in der Sache materiell schlimmstes Unrecht beinhalten können 00:30:42.560 --> 00:30:47.560 und dass deshalb die Möglichkeit bestehen muss, hier korrigierend einzugreifen. 00:30:47.720 --> 00:30:51.920 Und diese Aufgabe ist dem Bundesverfassungsgericht übertragen worden. 00:30:51.920 --> 00:30:59.760 Mit der Übertragung dieser Aufgabe ist zwingend ein Konflikt verbunden, der das Bundesverfassungsgericht begleitet, 00:30:59.840 --> 00:31:07.400 seit es existiert, nämlich der Streit um die Frage: hat das Gericht sich darauf beschränkt, 00:31:07.480 --> 00:31:12.040 die Verfassung auszulegen, oder ist es nicht darüber hinausgegangen? 00:31:12.040 --> 00:31:15.680 Hat es nicht eigenen politischen Gestaltungsehrgeiz entwickelt? 00:31:15.680 --> 00:31:23.080 Greift es nicht in die Politik ein, statt bloße Auslegung der Verfassung zu betreiben? 00:31:23.160 --> 00:31:25.560 Von Anfang an 00:31:25.640 --> 00:31:28.440 hat diese Debatte stattgefunden, 00:31:28.440 --> 00:31:34.280 als das Gericht dem ersten Bundeskanzler Konrad Adenauer gesagt hat, dass seine Vorstellungen 00:31:34.280 --> 00:31:40.360 über die Ausgestaltung der Fernsehlandschaft in Deutschland mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist, 00:31:40.440 --> 00:31:43.440 hat er bemerkt, “so haben wir uns das aber nicht vorgestellt, 00:31:43.440 --> 00:31:46.200 mit dem Bundesverfassungsgericht”. 00:31:46.200 --> 00:31:51.520 Und in der Bundespressekonferenz hat der damalige Bundesjustizminister erklärt: 00:31:51.600 --> 00:31:58.600 die Bundesregierung hat einstimmig beschlossen, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist falsch, 00:31:58.680 --> 00:32:01.160 hat nichts genutzt. 00:32:01.160 --> 00:32:06.120 Und es ging dann in der Folgezeit, in den nachfolgenden Jahren so weiter. 00:32:06.120 --> 00:32:11.120 Es gab einen großen Vorsitzenden einer damals noch großen Volkspartei, 00:32:11.120 --> 00:32:16.880 der mit Blick auf die neue Ostpolitik unter Willy Brandt mit Blick auf den Grundlagenvertrag formuliert hat: 00:32:16.960 --> 00:32:19.960 Ich lasse mir meine Politik doch nicht durch die acht... 00:32:19.960 --> 00:32:25.680 und dann hat er einen Begriff benutzt, den ich in der Anwesenheit von Damen nicht wiederholen möchte. 00:32:25.680 --> 00:32:31.440 Sonst müsste ich A*löcher sagen, in Karlsruhe meine Politik nicht kaputt machen. 00:32:31.520 --> 00:32:36.000 Mein erster Präsident, Andreas Voßkuhle, musste sich anhören Wenn er Politik machen 00:32:36.000 --> 00:32:41.280 will, soll er für den Bundestag kandidieren, nur nicht sein Amt als Verfassungsrichter 00:32:41.360 --> 00:32:42.680 dazu missbrauchen. 00:32:42.680 --> 00:32:46.160 Und auch in jüngerer Vergangenheit haben wir diese Debatte gehabt. 00:32:46.160 --> 00:32:52.400 Überschreitet das Bundesverfassungsgericht seine Grenzen, wenn es sich mit europäischen Entwicklungen beschäftigt? 00:32:52.400 --> 00:32:53.720 Wenn es sich fragt, 00:32:53.720 --> 00:32:59.760 ist das, was auf europäischer Ebene geschieht, eigentlich mit den Vorgaben des Grundgesetzes vereinbar? 00:32:59.840 --> 00:33:03.280 Handelt die Europäische Union nicht ultra vires? 00:33:03.280 --> 00:33:07.600 Wie ist es im Zusammenhang mit der Frage 00:33:07.600 --> 00:33:11.000 der Beachtung der Ewigkeitsklausel? 00:33:11.000 --> 00:33:15.000 Eine heftige Debatte, ob das Gericht da seine Grenzen nicht überschreitet. 00:33:15.000 --> 00:33:19.760 Es gab eine Debatte, ob das Klimaschutz-Urteil des Bundesverfassungsgerichts wirklich 00:33:19.760 --> 00:33:24.520 stringent dogmatisch aus der Verfassung ableitbar ist. 00:33:24.520 --> 00:33:29.400 Es gab eine heftige Debatte, als das Bundesverfassungsgericht interpretiert hat, 00:33:29.400 --> 00:33:36.720 was im Grundgesetz zur Schuldenbremse und zu den Fragen der Jährichkeit, der Ehrlichkeit und 00:33:36.800 --> 00:33:40.040 der Fälligkeit von Haushaltsansätzen 00:33:40.040 --> 00:33:44.960 gesagt hat, hat die Republik ein wenig beschäftigt, wie Sie sich vielleicht erinnern. 00:33:45.040 --> 00:33:47.840 Es gab aber auch den umgekehrten Vorwurf. 00:33:47.840 --> 00:33:51.120 Es gab auch den Vorwurf, das Gericht tut zu wenig. 00:33:51.120 --> 00:33:56.840 Das Gericht schützt etwa in der Corona Pandemie die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger nicht 00:33:56.840 --> 00:33:58.320 ausreichend. 00:33:58.320 --> 00:34:03.920 Diese Debatte ist in der Struktur angelegt, und ich finde diese Debatte nicht schlimm. 00:34:04.000 --> 00:34:08.640 Ich finde, dass diese Debatte in einer offenen Gesellschaft geführt werden kann, geführt werden 00:34:08.640 --> 00:34:10.880 soll und geführt werden muss. 00:34:10.880 --> 00:34:16.320 Das Gericht hat eine Reihe von Instrumenten entwickelt, um die Einschätzung der Prärogative, 00:34:16.320 --> 00:34:22.880 die der Gesetzgeber hat, zu beachten, um zu sagen klar, die politische Richtigkeit, die politische Zweckmäßigkeit. 00:34:23.080 --> 00:34:25.400 Das hat das Gericht nicht zu interessieren. 00:34:25.400 --> 00:34:29.920 Wir orientieren uns ausschließlich an verfassungsrechtlichen Maßstäben, 00:34:29.920 --> 00:34:32.960 und auf der Grundlage, diese Diskussion zu führen, 00:34:32.960 --> 00:34:38.720 ist Teil des demokratischen Diskurses, wie er in unserer Gesellschaft geführt werden muss. 00:34:38.800 --> 00:34:43.440 Dass das Gericht seine Aufgabe nicht so ganz schlicht 00:34:43.440 --> 00:34:49.640 erfüllt hat, dokumentiert vielleicht ein Umstand, nämlich die Frage, 00:34:49.720 --> 00:34:54.840 wie eigentlich das Vertrauen gegenüber dem Gericht ausgestaltet ist. 00:34:54.840 --> 00:35:00.720 In Deutschland wird ja alles erfragt und deshalb wird auch erfragt, wem die Deutschen trauen. 00:35:00.800 --> 00:35:03.920 Politik hat da Luft nach oben. 00:35:03.920 --> 00:35:09.280 In der Vergangenheit gab es eigentlich drei Institutionen, die 00:35:09.360 --> 00:35:13.760 in den Vertrauensquoten bei den Menschen ganz oben standen. 00:35:13.760 --> 00:35:18.760 Das war der DFB, ADAC und das Bundesverfassungsgericht. 00:35:18.800 --> 00:35:23.440 Sie sehen daran: nie war das Bundesverfassungsgericht so wertvoll wie heute. 00:35:23.440 --> 00:35:25.480 Das war nun der Werbeblock. 00:35:25.480 --> 00:35:27.760 Der ist damit abgeschlossen. 00:35:27.760 --> 00:35:34.200 Gleichwohl will ich sagen, natürlich ist das Verfassungsgericht zentraler Bestandteil einer wehrhaften 00:35:34.200 --> 00:35:42.120 Verfassung, zentraler Bestandteil eines Systems, das die Verfassung schützt gegen Eingriffe von außen. 00:35:42.200 --> 00:35:43.520 Und dann gibt es 00:35:43.520 --> 00:35:49.600 die Elemente, die im Zusammenhang mit der Debatte um die wehrhafte Demokratie oft 00:35:49.680 --> 00:35:54.160 in der Regel verkürzt alleine angesprochen werden. 00:35:54.160 --> 00:36:00.440 Das sind die Fragen der Parteiverbots, des Vereinsverbots und der Verwirkung von Grundrechten. 00:36:00.520 --> 00:36:04.640 Das Grundgesetz geht davon aus, 00:36:04.640 --> 00:36:10.240 dass es keine unbedingte Freiheit für die Feinde der Freiheit gibt. 00:36:10.320 --> 00:36:15.960 Die Freiheiten, die das Grundgesetz gewährt, sollen nicht eingesetzt werden, 00:36:16.040 --> 00:36:19.840 um die verfassungsmäßige Ordnung abzuschaffen. 00:36:19.840 --> 00:36:25.760 Und deshalb muss es Instrumente geben, die den Feinden der Freiheit 00:36:25.840 --> 00:36:31.040 dann eine Einschränkung auflegen, wenn sie kämpferisch 00:36:31.120 --> 00:36:35.840 darauf ausgehen, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beseitigen. 00:36:35.840 --> 00:36:40.840 Aber das ist ein schwieriges Konzept. 00:36:40.960 --> 00:36:47.120 Das ist das Konzept Verteidigung der Freiheit durch die Beseitigung von Freiheit. 00:36:47.200 --> 00:36:54.560 Und deshalb hat das Bundesverfassungsgericht immer gesagt Parteiverbote sind keine Gesinnungsverbote. 00:36:54.640 --> 00:37:01.320 Parteiverbote dienen dann nicht dazu, unliebsame politische Konkurrenz auszuschalten. 00:37:01.400 --> 00:37:08.960 Das Parteiverbot ist das schärfste, aber zweischneidige Schwert der freiheitlich demokratischen Grundordnung. 00:37:08.960 --> 00:37:15.760 Es kann nur eingesetzt werden unter ganz extremen Voraussetzungen. 00:37:15.840 --> 00:37:23.040 Es ist die ultima Ratio, das letzte Mittel zur Verteidigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung. 00:37:23.120 --> 00:37:28.760 Vorrangig setzt das Grundgesetz auf die Kraft des Arguments. 00:37:28.840 --> 00:37:34.720 Vorrangig setzt das Grundgesetz darauf, dass Demokratinnen und Demokraten 00:37:34.760 --> 00:37:39.400 und Demokraten mit offenem Visier die Demokratie verteidigen, 00:37:39.400 --> 00:37:44.680 dass die geistige Auseinandersetzung geführt wird und nicht auf die Möglichkeit des Verbots 00:37:44.680 --> 00:37:46.880 zurückgegriffen werden muss. 00:37:46.880 --> 00:37:51.440 Ich komme dazu zurück, das also das Konzept, 00:37:51.440 --> 00:37:56.760 das mit einigen Ergänzungen in der Folgezeit das Grundgesetz ausmacht. 00:37:56.840 --> 00:38:03.360 Die Verfassung ist heute doppelt so lang wie der 1949 beschlossene Text. 00:38:03.440 --> 00:38:05.920 Das hat mit notwendigen Änderungen zu tun. 00:38:05.920 --> 00:38:08.360 Darüber habe ich gesprochen. 00:38:08.360 --> 00:38:09.680 Das hat aber auch damit zu tun, 00:38:09.680 --> 00:38:15.600 dass mittlerweile Dinge im Grundgesetz stehen, die wirklich nicht in eine Verfassung gehören. 00:38:15.680 --> 00:38:18.400 Der größte Teil der Änderungen, 00:38:18.400 --> 00:38:24.000 das Grundgesetz, beziehen sich auf die föderale Ordnung, auf das Verhältnis von Bund und Ländern. 00:38:24.080 --> 00:38:28.520 Die Folge ist, dass wir mittlerweile, was dieses Verhältnis anbetrifft, 00:38:28.520 --> 00:38:32.960 einen vorsichtig ausgedrückt, ziemlichen Kuddelmuddel haben. 00:38:32.960 --> 00:38:39.320 Wir haben eine Situation, in der eigentlich oft nicht klar ist: wer ist wofür zuständig, 00:38:39.400 --> 00:38:45.720 wer hat die Regellungszuständigkeit, wer hat die Verwaltungszuständigkeit, wer hat die Finanzierungszuständigkeit? 00:38:45.800 --> 00:38:50.600 Im Finanzierungsbereich haben wir zunehmend Mischfinanzierungtatbestände 00:38:50.600 --> 00:38:53.720 mit der Folge, dass die politische Verantwortung 00:38:53.720 --> 00:38:59.880 nicht mehr eindeutig an die Ebene des jeweiligen Landes oder an die Ebene des Bundes 00:38:59.960 --> 00:39:01.680 zuordnen können. 00:39:01.680 --> 00:39:04.320 Das ist ein demokratisches Problem. 00:39:04.320 --> 00:39:08.000 Sie sollen bei der Wahl ja die Leute für ihr Handeln verantwortlich machen. 00:39:08.000 --> 00:39:12.120 Aber wenn sie gar nicht wissen, wofür die Verantwortung haben, wird es schwierig. 00:39:12.680 --> 00:39:18.080 Deshalb bin ich fest davon überzeugt, dass wir dringend eine neue Föderalismuskommission, 00:39:18.080 --> 00:39:24.200 eine neue Föderalismusreform brauchen, die wieder deutlicher macht, wer wofür zuständig ist. 00:39:24.280 --> 00:39:32.040 Dieses Modell der Bund bietet den Ländern Geld an, verlangt dafür die Übertragung von Kompetenzen 00:39:32.120 --> 00:39:34.280 und am Ende ist alles durcheinander, 00:39:34.280 --> 00:39:40.200 kann so nicht weitergehen, sonst wird der Föderalismus in diesem Land keine gute Zukunft haben. 00:39:40.280 --> 00:39:43.320 Und das zweite Problem, das wir haben, 00:39:43.320 --> 00:39:46.560 hat viel zu tun mit großen Koalitionen. 00:39:46.560 --> 00:39:50.600 Große Koalitionen mit der Vergangenheit 00:39:50.600 --> 00:39:55.360 sind verantwortlich für die Mehrzahl der Änderungen des Grundgesetzes, 00:39:55.360 --> 00:40:01.360 weil sie sich die Partner der Großen Koalitionen wechselseitig nicht getraut haben. 00:40:01.440 --> 00:40:03.080 Weil sie gesagt haben na ja, 00:40:03.080 --> 00:40:07.960 wenn die große Koalition zu Ende ist und wir in der Opposition und die anderen in der Regierung sind, 00:40:07.960 --> 00:40:10.880 dann machen die unseren schönen Kompromiss kaputt. 00:40:10.880 --> 00:40:15.080 Und um das zu verhindern, hat man diese politischen Kompromisse, 00:40:15.080 --> 00:40:20.760 die eigentlich auf gesetzlicher Ebene hätten geregelt werden müssen, ins Grundgesetz geschrieben. 00:40:20.840 --> 00:40:25.800 Deshalb lesen Sie im Grundgesetz Geschichten über Optionskommunen, über die Frage, 00:40:25.800 --> 00:40:30.200 wer Arbeitsverwaltung machen soll, ob es Kreise gibt, die das machen können. 00:40:30.200 --> 00:40:36.200 Über die Frage, wie das mit der Trennung von Netz und Betrieb bei der Deutschen Bahn ist und vieles andere mehr. 00:40:36.280 --> 00:40:39.280 Das hat dem Grundgesetz nicht gut getan. 00:40:39.280 --> 00:40:44.880 Und deshalb glaube ich, wenn wir über die Zukunft des Grundgesetzes reden, wenn wir über Reformbedarf reden, 00:40:44.960 --> 00:40:50.360 sollten wir in erster Linie reden über die Frage Wie machen wir dieses Grundgesetz wieder schlanker? 00:40:50.440 --> 00:40:54.680 Wie führen wir es wieder zurück auf die zentralen Prinzipien, 00:40:54.680 --> 00:40:59.040 die Grundlage unseres Zusammenlebens in diesem Land waren? 00:40:59.040 --> 00:41:07.120 Diese Prinzipien haben sich bewährt, und deshalb greife ich die Frage auf, haben wir eine gute Verfassung? 00:41:07.160 --> 00:41:10.000 Antwort: Ja. 00:41:10.000 --> 00:41:13.960 Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland war Grundlage 00:41:13.960 --> 00:41:18.080 für die glücklichsten Jahre in der Geschichte unseres Landes. 00:41:18.080 --> 00:41:23.720 Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland hat dazu geführt, mit dazu beigetragen, 00:41:23.800 --> 00:41:26.200 dass wir 75 Jahre in Frieden gelebt haben. 00:41:26.200 --> 00:41:29.160 Das gab es in der deutschen Geschichte noch nicht. 00:41:29.160 --> 00:41:35.400 Es hat ein Maß an Freiheit garantiert, das beispiellos in unserer Geschichte ist. 00:41:35.480 --> 00:41:40.120 Es hat mit dazu beigetragen, dass aus den Trümmern des Zweiten Weltkrieges 00:41:40.120 --> 00:41:45.280 ein im internationalen Vergleich wohlhabendes Land entstanden ist. 00:41:45.360 --> 00:41:49.080 Es sollen keine Probleme unter den Tisch gekehrt werden. 00:41:49.080 --> 00:41:53.640 Aber im Vergleich zu anderen steht dieses Land gut da. 00:41:53.640 --> 00:41:58.960 Die Möglichkeit, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, ist in nahezu 00:41:58.960 --> 00:42:04.680 keinem Land der Welt größer, wie das in der Bundesrepublik Deutschland der Fall ist. 00:42:04.760 --> 00:42:10.720 Relativ geht es den Menschen gut. Die Menschen werden immer älter. 00:42:10.800 --> 00:42:12.440 Durchschnittsalter 82 Jahre. 00:42:12.440 --> 00:42:14.800 Großer Unterschied zwischen Männer und Frauen. 00:42:14.800 --> 00:42:17.320 Frauen werden im Schnitt vier Jahre älter als Männer. 00:42:17.320 --> 00:42:21.840 Massiver Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Artikels 3 des Grundgesetzes. 00:42:21.840 --> 00:42:25.760 Und sie haben eine Möglichkeit, sich in dieser Gesellschaft zu betätigen. 00:42:25.760 --> 00:42:29.360 Kulturelle Interessen auszuleben, sportliche Interessen auszuleben. 00:42:29.360 --> 00:42:33.600 Sich in der Zivilgesellschaft zu engagieren, wie das noch nie der Fall war. 00:42:33.600 --> 00:42:39.720 Deshalb ist mein erstes Fazit: Ja, wir haben eine gute Verfassung. 00:42:39.800 --> 00:42:44.800 Zweite Frage: Sind wir in guter Verfassung? 00:42:44.840 --> 00:42:48.040 Nein. Sind wir nicht. 00:42:48.040 --> 00:42:55.080 Wir leben in einer Zeit, die geprägt ist, dass diese Verfassungsordnung erodiert. 00:42:55.160 --> 00:42:59.520 Wir leben in einer Zeit, die geprägt ist dadurch, dass Demokratie 00:42:59.520 --> 00:43:05.320 und Rechtsstaat zunehmend unter Druck geraten. 00:43:05.400 --> 00:43:11.200 Wir leben in einer Zeit, in der der Krieg als Mittel der Politik zurückgekehrt ist. 00:43:11.280 --> 00:43:15.880 Eines der größten Irrtümer der Vergangenheit 00:43:15.880 --> 00:43:20.880 hat sich niedergeschlagen in dem Buch von Francis Fukuyama vom Ende der Geschichte. 00:43:21.040 --> 00:43:25.320 Der hat vor 35 Jahren gesagt, der Wettlauf der Systeme ist entschieden. 00:43:25.400 --> 00:43:26.960 Der Ostblock ist zusammengebrochen. 00:43:26.960 --> 00:43:32.600 Demokratie, Freiheit, Menschenrechte werden sich überall auf der Welt durchsetzen. 00:43:32.680 --> 00:43:35.480 Das Gegenteil ist der Fall. 00:43:35.480 --> 00:43:41.600 Wenn Sie sich die Untersuchungen von Freedom House anschauen, dann war das Jahr 2022 00:43:41.600 --> 00:43:43.840 das 17. Jahr in Folge, 00:43:43.840 --> 00:43:50.240 das weltweit geprägt ist durch einen Abbau an demokratischen Grundrechten und Freiheiten. 00:43:50.320 --> 00:43:54.280 Gerade mal 1/4 der Menschheit lebt noch in der Demokratie. 00:43:54.280 --> 00:43:57.080 Wir glauben ja, dass das das bevorzugte Modell auf der Welt ist. 00:43:57.080 --> 00:44:00.240 Beileibe nicht. 00:44:00.240 --> 00:44:06.400 Und auch bei uns erodieren Demokratie und Rechtsstaat. 00:44:06.480 --> 00:44:09.680 Das Vertrauen in die Demokratie nimmt ab. 00:44:09.680 --> 00:44:16.680 Nur noch gut die Hälfte der Menschen glauben, dass die Demokratie die ideale Staatsform ist. 00:44:16.760 --> 00:44:18.360 Und besonders wenig glauben, 00:44:18.360 --> 00:44:24.000 dass die Menschen in den neuen Ländern und besonders wenig glauben, dass die jungen Menschen. 00:44:24.080 --> 00:44:27.720 Der Rechtsstaat wird in Frage gestellt, 00:44:27.720 --> 00:44:32.000 die Bindung an Recht und Gesetz wird in Frage gestellt. 00:44:32.000 --> 00:44:39.960 Wir haben die Herausforderungen durch den Radikalismus, der erstarkt von rechts, von links, den Islamismus. 00:44:40.040 --> 00:44:45.600 Wir haben die Herausforderungen im Zusammenhang mit der Delegitimierung des Staates. 00:44:45.680 --> 00:44:47.960 Wir haben die Vorstellung 00:44:47.960 --> 00:44:57.000 mitten in Europa und vertreten durch einzelne Parteien auch bei uns von der illiberalen Demokratie. 00:44:57.080 --> 00:45:01.960 Hauptprotagonist dieser Idee ist der ungarische Ministerpräsident 00:45:01.960 --> 00:45:08.280 Viktor Orban, der gesagt hat, wir müssen den wahren Willen des Volkes durchsetzen, 00:45:08.360 --> 00:45:13.360 indem wir die Demokratie aus den Fesseln des Rechtsstaats befreien. 00:45:13.400 --> 00:45:16.280 Ende des Zitats. 00:45:16.280 --> 00:45:22.400 Das ist schon deshalb Unsinn, weil es den wahren Willen des Volkes nicht gibt. 00:45:22.480 --> 00:45:27.480 Habermas sagt zu Recht: Das Volk tritt immer im Plural auf. 00:45:27.640 --> 00:45:29.560 Da sind immer unterschiedliche Interessen 00:45:29.560 --> 00:45:35.160 und unterschiedliche Vorstellungen, unterschiedliche Ziele, unterschiedliche Ideen. 00:45:35.240 --> 00:45:38.960 Demokratie und Rechtsstaat gibt es nur im Doppelpack. 00:45:38.960 --> 00:45:43.840 Sie werden auf Dauer das eine ohne das andere nicht haben können. 00:45:43.840 --> 00:45:46.240 Und deshalb glaube ich, 00:45:46.240 --> 00:45:53.320 und die Wahlen vom Wochenende haben das noch einmal bestätigt, dass wir gemeinsam darüber nachdenken müssen, 00:45:53.400 --> 00:45:55.360 wie wir diese gute Verfassung 00:45:55.360 --> 00:46:00.640 mit neuem Leben erfüllen, wie wir diese gute Verfassung schützen, 00:46:00.720 --> 00:46:04.400 wie wir die Institutionen in dieser guten Verfassung schützen. 00:46:04.400 --> 00:46:08.400 Erlauben Sie mir zum Schluss dazu drei Bemerkungen zu machen. 00:46:08.400 --> 00:46:13.640 Eine zum Bundesverfassungsgericht, eine zum Parteiverbot und eine zum demokratischen Diskurs. 00:46:13.640 --> 00:46:16.240 Erstens: 00:46:16.240 --> 00:46:20.200 Ich habe Ihnen ja gesagt, dass das Bundesverfassungsgericht eigentlich eines der stärksten 00:46:20.200 --> 00:46:22.200 Verfassungsgericht auf der Welt ist. 00:46:22.200 --> 00:46:27.800 Aber vieles, was das Bundesverfassungsgericht betrifft, ist nicht im Grundgesetz geregelt, 00:46:27.880 --> 00:46:30.080 sondern im Bundesverfassungsgerichtsgesetz. 00:46:30.080 --> 00:46:36.880 Also einem einfachen Gesetz, das grundsätzlich mit einfacher Mehrheit geändert werden kann. 00:46:36.960 --> 00:46:45.120 Deshalb gibt es die Überlegung angesichts des Umstandes, dass Autokraten, wenn sie denn einmal an der Macht sind, 00:46:45.120 --> 00:46:51.480 als erstes versuchen, die Presse gleichzuschalten und die Verfassungsgerichte zu schwächen. 00:46:51.560 --> 00:46:55.560 Können Sie nachvollziehen. Das ist überall der Fall. 00:46:55.560 --> 00:47:01.720 Mittlerweile sterben Demokratien ja nicht mehr im Kugelhagel der Putschisten. 00:47:01.800 --> 00:47:05.640 Demokratien sterben an den Urnen, 00:47:05.640 --> 00:47:10.120 haben die beiden amerikanischen Politologen Levitsky 00:47:10.120 --> 00:47:15.440 und Ziblatt beeindruckend beschrieben. 00:47:15.440 --> 00:47:21.080 Deshalb gibt es die Überlegung, das Bundesverfassungsgericht resilient zu machen. 00:47:21.160 --> 00:47:28.120 Falls bei uns Populisten stärkeren Einfluss noch gewinnen können, als dies bisher der Fall ist. 00:47:28.200 --> 00:47:33.200 Und vieles, was die Unabhängigkeit des Gerichts sichert, ins Grundgesetz zu schreiben, 00:47:33.400 --> 00:47:36.720 zu verhindern, dass man die Besetzung des Gerichts manipuliert, 00:47:36.720 --> 00:47:42.120 indem man Amtszeiten verkürzt, indem man die Zahl der Richter erhöht, 00:47:42.200 --> 00:47:47.920 um dadurch willfährige Richter ins Gericht setzen zu können oder andere Möglichkeiten. 00:47:48.000 --> 00:47:51.560 Da gibt es eine Debatte, die zurzeit in Deutschland geführt wird. 00:47:51.560 --> 00:47:55.520 Da wird es auch eine Grundgesetzänderung geben. 00:47:55.520 --> 00:47:59.120 Mein Eindruck und meine Befürchtung ist, dass diese Grundgesetzänderung 00:47:59.120 --> 00:48:03.200 an den wirklich wichtigen Fragen vorbeigehen wird. 00:48:03.200 --> 00:48:07.040 Es ist in Ordnung, wenn man die Amtszeit der Richter ins Grundgesetz schreibt. 00:48:07.040 --> 00:48:09.000 Wenn man ins Grundgesetz hineinschreibt: 00:48:09.000 --> 00:48:11.600 Ein Richter ist für zwölf Jahre gewählt und kann nicht wiedergewählt 00:48:11.600 --> 00:48:15.080 werden, ist ganz wichtig, dass er nicht wiedergewählt werden kann. 00:48:15.080 --> 00:48:20.200 Wenn man ins Grundgesetz hineinschreibt: Es gibt 16 Richter in zwei Senaten. Alles in Ordnung. 00:48:20.280 --> 00:48:23.400 Aber das Allerwichtigste, was sicherstellt, 00:48:23.400 --> 00:48:27.080 dass das Bundesverfassungsgericht aus Richterinnen und Richtern besteht, 00:48:27.080 --> 00:48:31.760 die den Ausgleich suchen, die aus der Mitte kommen, ist die Vorschrift, 00:48:31.760 --> 00:48:35.040 dass die Richterinnen und Richter mit Zweidrittelmehrheit gewählt werden müssen, 00:48:35.040 --> 00:48:40.320 also regelmäßig auch unter Einbezug der politischen Opposition. 00:48:40.400 --> 00:48:45.080 Und deshalb würde es Sinn machen, diese Regelung ins Grundgesetz hineinzuschreiben. 00:48:45.080 --> 00:48:47.120 Das hat ein Problem. 00:48:47.120 --> 00:48:51.800 Das Problem ist nämlich, was passiert, wenn tatsächlich Populisten 00:48:51.800 --> 00:48:58.760 mehr als 1/3 der Sitze im Bundestag oder 1/3 der Stimmen im Bundesrat haben sollten? 00:48:58.840 --> 00:49:00.000 Nicht völlig auszuschließen. 00:49:00.000 --> 00:49:03.080 Wir haben ja mittlerweile nicht nur Populisten von rechts, 00:49:03.080 --> 00:49:08.000 sondern wir haben ja mittlerweile auch eine populistische Organisation von links. 00:49:08.000 --> 00:49:14.960 So eine One Woman Show haben wir auch noch nicht gehabt in der Bundesrepublik Deutschland. 00:49:15.040 --> 00:49:21.080 Wenn die natürlich 1/3 haben und die Zweidrittelmehrheit im Grundgesetz steht, gibt es da eine Blockade Situation. 00:49:21.080 --> 00:49:23.960 Und da brauchen Sie eine Blockade-Lösungs Mechanismus. 00:49:23.960 --> 00:49:29.480 Dafür gibt es Vorschläge, wie man das machen kann, Etwa indem wir der Bundestag es innerhalb eines Jahres 00:49:29.480 --> 00:49:31.280 nicht schafft, einen Verfassungsrichter zu wählen. 00:49:31.280 --> 00:49:37.640 Das Recht auf den Bundesrat übergeht, dass im Bundesrat populistische Organisationen 00:49:37.640 --> 00:49:44.520 in einem Maße in Landesregierungen vertreten sind, dass dies einem Drittel der Stimmen des Bundesrates entspricht. 00:49:44.600 --> 00:49:48.680 Das ist etwas, was noch relativ weit entfernt ist und immer an den Punkt kommen. 00:49:48.680 --> 00:49:52.840 Dann haben wir in Deutschland wahrscheinlich mehr Probleme als die Lösung der Frage, wie Verfassungsrichter 00:49:52.840 --> 00:49:54.560 gewählt werden. 00:49:54.640 --> 00:49:59.440 Deshalb glaube ich, dass das stattfinden müsste, wenn man da wirklich etwas machen will. 00:49:59.440 --> 00:50:03.720 Und der zweite Vorschlag ist, dass man Änderungen des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes 00:50:03.720 --> 00:50:08.160 künftig zustimmungspflichtig macht, an die Zustimmung des Bundesrates bindet. 00:50:08.360 --> 00:50:11.600 Auch das wäre ein Beitrag zur Stärkung der Resilienz. 00:50:11.600 --> 00:50:15.920 Zweiter Punkt Parteiverbot. Diskussion wird ja bei uns geführt. 00:50:15.920 --> 00:50:19.520 Mit Blick insbesondere auf die AfD 00:50:19.520 --> 00:50:22.840 will ich aus meinem Herzen keine Mördergrube machen. 00:50:22.840 --> 00:50:28.360 Es gilt die Vorgabe des Gerichts Ultima Ratio, allerletztes Mittel. 00:50:28.360 --> 00:50:30.800 Und das hat Konsequenzen, 00:50:30.800 --> 00:50:38.440 die es aus meiner Sicht problematisch erscheinen lassen, ein Parteiverbotsverfahren für die AfD zu erwägen. 00:50:38.440 --> 00:50:41.440 Erstes Problem: 00:50:41.440 --> 00:50:45.800 Verfahren zum Verbot einer Partei dauern lang. 00:50:45.800 --> 00:50:48.520 Die NPD Verbotsverfahren haben jeweils vier Jahre gedauert. 00:50:48.520 --> 00:50:51.240 Ab Stellung des Antrags. 00:50:51.240 --> 00:50:55.200 Und die Stellung des Antrages, das machen Sie nicht in 14 Tagen. 00:50:55.280 --> 00:50:56.160 Da müssen Sie nicht 00:50:56.160 --> 00:51:01.400 nur nachweisen, dass eine Partei die freiheitlich demokratische Grundordnung abschaffen will. 00:51:01.400 --> 00:51:03.680 Da müssen Sie auch formale 00:51:03.680 --> 00:51:04.680 Vorschriften erfüllen. 00:51:04.680 --> 00:51:08.000 Dann müssen Sie nachweisen, dass diese Partei sich verteidigen kann. 00:51:08.000 --> 00:51:10.600 Das ist die letzte Chance, die sie hat. 00:51:10.600 --> 00:51:14.120 Dass sie dabei nicht gestört wird durch staatliche Einflüsse, 00:51:14.120 --> 00:51:19.920 dass keine V-Leute aktiv sind auf den Führungsebenen der Partei, dass die Quelle nicht staatlich infiziert sind, 00:51:19.920 --> 00:51:27.280 dass die Prozess Strategie nicht ausgespäht wird, ist ein Riesenaufwand, der viel Zeit in Anspruch nimmt. 00:51:27.360 --> 00:51:34.200 Während dieses gesamten Verfahrens ist diese Partei in einer Märtyrer-Rolle, wird diese Partei sagen können 00:51:34.280 --> 00:51:39.480 völlig klar, weil sie uns politisch nicht packen, versuchen sie uns jetzt zu verbieten. 00:51:39.560 --> 00:51:41.960 Märtyrer sind gefährlich. 00:51:41.960 --> 00:51:45.360 Erstes Problem. Zweites Problem: 00:51:45.360 --> 00:51:48.360 Was machen Sie, wenn es schiefgeht? 00:51:48.360 --> 00:51:51.320 Ich hab ihnen ja gesagt. Die Anforderungen sind hoch. 00:51:51.320 --> 00:52:01.560 Sie müssen zweifelsfrei nachweisen, dass die Partei in ihrer Gesamtheit und nicht Einzelne in der Partei 00:52:01.640 --> 00:52:05.520 das Ziel haben, die freiheitlich demokratische Grundordnung 00:52:05.520 --> 00:52:15.120 und das sind nur die zentralen Prinzipien der Menschenwürde, der Demokratie und des Rechtsstaates zu beseitigen. 00:52:15.200 --> 00:52:17.360 Im NPD Verbotsverfahren war das deshalb 00:52:17.360 --> 00:52:25.320 kein großes Problem, diese Zielrichtung festzustellen, weil die aufgeschrieben haben, was sie denken. 00:52:25.400 --> 00:52:28.960 Das ist bei der AfD anders. 00:52:28.960 --> 00:52:33.680 Ich habe mir im Wege eines Selbstbestrafungsprogramms 00:52:33.680 --> 00:52:37.880 einmal die Programme der AfD angeschaut. 00:52:37.880 --> 00:52:40.160 Die sind unproblematisch. 00:52:40.160 --> 00:52:46.240 Da finden sie nichts, was substanziell gegen Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaat gerichtet ist. 00:52:46.320 --> 00:52:52.000 Ich habe sogar die Bücher dieses ominösen Herrn Krah und des Herrn Höcke gelesen. 00:52:52.080 --> 00:52:56.000 Da finden Sie keine Remigrationspläne. 00:52:56.000 --> 00:53:03.240 Also Sie müssen im Verfahren nachweisen, dass das, was die AfD schreibt und das was sie denkt 00:53:03.320 --> 00:53:08.720 und sie denkt das, zwei verschiedene Dinge sind, dass das, was die AfD denkt, 00:53:08.720 --> 00:53:12.360 tatsächlich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung verstößt. 00:53:12.360 --> 00:53:17.280 Wenn Das nicht gelingt. Wenn das Verfahren scheitert, ist das der Persilschein 00:53:17.360 --> 00:53:20.360 für diese unappetitliche Veranstaltung. 00:53:20.360 --> 00:53:25.560 Und dritter Punkt: Selbst wenn Sie die AfD verbieten 00:53:25.640 --> 00:53:31.240 dasjenige, was dazu führt, dass Menschen und das sind nicht alles Radikale, 00:53:31.320 --> 00:53:36.560 das sind nicht alles Extremisten, dass Menschen darüber nachdenken, dieser Partei ihre Stimme 00:53:36.560 --> 00:53:43.360 zu geben, dass die Gründe, die dazu führen, dann ja nicht verschwinden, die sind nach wie vor da. 00:53:43.440 --> 00:53:47.240 Wir haben nach wie vor das Problem, dass es viele Menschen gibt, 00:53:47.240 --> 00:53:51.920 die sich in der Politik der etablierten Parteien nicht wiederfinden. 00:53:51.920 --> 00:53:54.920 Wir haben nach wie vor das Problem, dass viele Menschen sagen, 00:53:54.920 --> 00:53:58.520 in diesem Land kann man frei seine Meinung nicht mehr äußern. 00:53:58.520 --> 00:54:04.000 Bei der Frage kann man in Deutschland seine Meinung frei äußern, haben wir das erste Mal in der Geschichte 00:54:04.080 --> 00:54:11.040 der Bundesrepublik Deutschland eine Mehrheit, die sagt Nein, das kann man in Deutschland nicht. 00:54:11.120 --> 00:54:14.320 Und das ist meine feste Überzeugung, 00:54:14.320 --> 00:54:18.200 der richtige Weg zur notwendigen Bekämpfung von Populisten, 00:54:18.200 --> 00:54:23.080 zur notwendigen Bekämpfung der AfD ist die politische Auseinandersetzung. 00:54:23.080 --> 00:54:27.360 Ist das offensive Ins-Feld-führen der Kraft des Arguments. 00:54:27.360 --> 00:54:29.600 Das ist mein dritter Punkt. 00:54:29.600 --> 00:54:34.320 Wir müssen die Themen, die die Menschen bewegen, ansprechen. 00:54:34.320 --> 00:54:39.320 Wir müssen den Menschen bewusst machen, was die AfD wirklich will. 00:54:39.320 --> 00:54:42.760 Da gibt es gar keinen Grund, Angst zu haben. 00:54:42.760 --> 00:54:48.400 Die Mehrheit der Menschen hat nichts am Hut mit einem ethnischen Volksbegriff. 00:54:48.480 --> 00:54:52.720 Die Mehrheit der Menschen unterscheidet nicht zwischen Pass- und Biodeutschen. 00:54:52.720 --> 00:54:56.000 Die Mehrheit der Menschen will den Euro nicht abschaffen. 00:54:56.000 --> 00:55:00.920 Die Mehrheit der Menschen will nicht den Dexit, den Austritt der Bundesrepublik Deutschland 00:55:00.920 --> 00:55:02.840 aus dieser Europäischen Union. 00:55:02.840 --> 00:55:08.400 Die Mehrheit der Menschen will nicht den Austritt der Bundesrepublik Deutschland aus der NATO. 00:55:08.480 --> 00:55:15.200 Die Mehrheit der Menschen hat kein Verständnis für Liebedienerei gegenüber Putin und Xi. 00:55:15.200 --> 00:55:20.640 Und sie biedert sich Autokraten nicht an. Alles das will die AfD. 00:55:20.640 --> 00:55:22.280 Für alles das steht die AfD. 00:55:22.280 --> 00:55:29.040 Die Mehrheit der Menschen hält den Nationalsozialismus nicht für einen Vogelschiss in der deutschen Geschichte. 00:55:29.120 --> 00:55:31.720 Und die Mehrheit der Menschen hat auch nichts dagegen, 00:55:31.720 --> 00:55:37.800 wenn der Nachbar ein Spieler der deutschen Fußballnationalmannschaft ist, egal welche Hautfarbe er hat. 00:55:37.880 --> 00:55:40.400 Insbesondere dann nicht, wenn wir Europameister werden. 00:55:40.400 --> 00:55:44.120 Also man kann diese Auseinandersetzung führen. 00:55:44.120 --> 00:55:49.120 Man muss den Menschen bewusst machen, was da wirklich gewollt ist 00:55:49.200 --> 00:55:55.160 und muss man die Probleme, die die Menschen umtreiben, ansprechen und man muss sie lösen. 00:55:55.240 --> 00:55:57.520 Überzeugende, 00:55:57.520 --> 00:56:03.320 die Interessen, die Ängste, die Probleme der Menschen ansprechende Politik. 00:56:03.400 --> 00:56:06.880 Das ist der richtige Weg zur Bekämpfung der AfD. 00:56:06.880 --> 00:56:10.240 Das Parteiverbot, glaube ich, ist es nicht. 00:56:10.240 --> 00:56:14.400 Und deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, sage ich zum Schluss 00:56:14.400 --> 00:56:17.360 Ja, wir haben eine gute Verfassung. 00:56:17.360 --> 00:56:21.080 Aber diese Verfassung ist eine Mitmachveranstaltung. 00:56:21.080 --> 00:56:24.440 Wir leben nicht in einer Zuschauer-Demokratie. 00:56:24.440 --> 00:56:30.720 Wer will, dass wir in guter Verfassung sind, der muss mit dazu beitragen, 00:56:30.800 --> 00:56:36.000 dass Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaat hier überall offensiv verteidigt werden. 00:56:36.080 --> 00:56:40.720 Der Bundespräsident hat bei den Feierlichkeiten zum 00:56:40.720 --> 00:56:45.360 75. Jahrestag des Grundgesetzes gesagt: Das Grundgesetz ist ein Auftrag. 00:56:45.360 --> 00:56:47.160 Und ich glaube, da hat er recht. 00:56:47.160 --> 00:56:48.320 Es ist ein Auftrag. 00:56:48.320 --> 00:56:52.000 Diesem Auftrag müssen wir uns stellen, zuvörderst die Politik. 00:56:52.000 --> 00:56:57.600 Aber am Ende wir alle, wir gemeinsam, damit wir auch wieder in gute Verfassung kommen. 00:56:57.680 --> 00:57:02.080 In diesem Sinne wünsche ich uns viel Erfolg und bedanke mich für die geduldige Aufmerksamkeit,